Ein Tag als Product Owner – zwischen Paketboten, Backlogs und Bauchgefühl


13 Uhr ist Paketzeit. Das weiß Thomas inzwischen ganz genau. Denn wenn der Paketbote klingelt, ist er meistens da – im Homeoffice, in dieser Zwischenwelt aus Videocalls, digitalen Boards und echtem Leben. „Ich bin hier so ein bisschen die Paketannahmestelle für das ganze Haus“, sagt er und lacht. Das ist einer dieser kleinen Sätze, die mehr über die Realität agilen Arbeitens verraten als jede PowerPoint-Folie.
Denn so beginnt der Tag eines Product Owners bei uns: nicht mit Buzzwords oder Businessplänen, sondern mit Menschen, die Dinge abliefern. Und genau darum geht es ja eigentlich auch in seiner Arbeit – um Dinge, die wirklich bei anderen ankommen und einen Wert liefern.
Vom Film zur Funktion: Wie man ohne Plan den richtigen Weg findet
Thomas ist keiner, der mit fünf schon wusste, dass er mal „Product Owner“ werden will (Wer tut das schon?). Sein Weg ist ein Mosaik: Informatik, Film, Werbung, Scrum Master – und dann irgendwann die Product-Owner-Rolle. „Ich wusste eigentlich nie, was ich werden soll“, sagt er. „Und wahrscheinlich weiß ich’s immer noch nicht.“
Dieser Satz klingt nicht nach Unsicherheit, sondern nach Offenheit. „Ich hab immer geguckt, wo ich helfen kann. Wo ich Wert habe.“ Das ist so ein Thomas-Satz: ruhig, unaufgeregt – und trotzdem steckt da alles drin, was agile Arbeit im Kern ausmacht.
Denn der Product Owner bei uns sortiert keine bunten Karten auf einem Board, sondern hebt den Blick und spürt, wo er mit seiner Arbeit wirklich etwas bewegt – im Produkt, im Team, beim Kunden.
Zwischen Fokus und Feedback
Bevor der Arbeitstag richtig losgeht, nimmt sich Thomas morgens ein paar Minuten, um sich zu sortieren. Kein schickes Morgenritual, kein Bullet-Journal. Einfach ein Moment, um sich zu fragen: Was ist heute wichtig? Dann trifft er sich mit Daniel, dem Scrum Master. „Wir haben unser eigenes Daily – nur 15 Minuten. Ich finde das total wichtig, dass wir uns kurz abstimmen, was heute für wen im Fokus steht.“
Um 9:45 Uhr geht’s ins Team-Daily. Thomas ist dabei – aber nicht zu laut. „Ich bin da, um Fragen zu beantworten, nicht um das Meeting zu übernehmen“, sagt er. Ein Satz, der zeigt, dass er das agile Handwerk wirklich verstanden hat. Denn Product Owner zu sein, heißt nicht: Chef spielen. Es heißt: Räume öffnen, Orientierung geben, zuhören.
Wenn man ihn fragt, woran er merkt, dass sein Team im Flow ist, muss er nicht lange überlegen:„An der Kommunikation. Wenn viel geredet wird, wenn wir im Chat diskutieren, Ideen hin- und herschicken, dann weiß ich: Es läuft. Wenn’s still ist, dann nicht.“ Agilität, das wird da klar, misst sich nicht in Velocity, sondern in Gesprächsdichte.
Agilität ist, wenn man trotzdem lacht
Einmal sagt Thomas, Agilität funktioniere für ihn dann, wenn Menschen direkt miteinander reden – „nicht über Tools, nicht über Prozesse, sondern einfach: reden“. Das klingt banal, ist aber fast radikal in einer Zeit, in der jeder alles über Tools zu lösen versucht. Wenn etwas nicht funktioniert, wird drüber gesprochen. Wenn ein Plan nicht aufgeht, wird er geändert. „Das Wichtigste ist, offen zu bleiben und zu experimentieren“, sagt er am Ende. „Das ist in unserer komplexen Welt das Einzige, was funktioniert.“
Und natürlich kennt er auch die andere Seite: das Stakeholder-Management, die Kraft, die es kostet, Nein zu sagen. „Manchmal ist es schwer, zu sagen: Das ergibt so keinen Sinn. Ich will nicht, dass das Team an etwas arbeitet, das keinen Wert bringt.“ Das ist vielleicht die härteste Seite seines Jobs: zwischen Erwartungen vom Kunden und dem Team zu vermitteln, ohne den Überblick oder den Mut zu verlieren.
KI, Kaffee und kleine Fluchten
Natürlich reden wir auch über Künstliche Intelligenz. Und Thomas hat dazu eine wunderbar unaufgeregte Haltung: „KI kann helfen – aber sie denkt nicht für mich.“
Er nutzt sie, um sich Arbeit zu erleichtern – Mails, Zusammenfassungen, Dokumentation. Aber Entscheidungen? Die trifft er immer noch selbst.
„KI nimmt einem die stumpfsinnigen Arbeiten ab“, sagt er. „Aber manchmal tut genau diese Stumpfsinnigkeit auch gut. Einfach mal Ablage machen, den Kopf freikriegen.“
Das ist so ein Satz, den man gerne zweimal hört, weil er so wahr ist. Agilität heißt ja auch: nicht permanent performen, sondern zwischendurch durchatmen dürfen.
Über Ruhe, Rhythmus und die Kunst, loszulassen
Scrum hat, sagt Thomas, ihm eine Art Ruhe beigebracht. „Ich hab früher gedacht, man muss immer alles sofort perfekt hinkriegen. Heute weiß ich: Wir entscheiden alle zwei Wochen neu. Und das gibt eine unglaubliche Gelassenheit.“
Dieser Gedanke – dass Fehler nicht das Ende, sondern Teil des Prozesses sind – zieht sich wie ein stiller Grundton durch unser Gespräch. Dann möchte Thomas jeden, der sich vom Scrum Guide und der umfassenden Rolle des Product Owners erschlagen fühlt noch mit auf den Weg geben: Auch ein Product Owner darf Urlaub machen! Ein Planning muss nicht acht Stunden dauern, das schafft ein Team auch in zwei Stunden. Und dann bleibt immer noch Zeit für tägliche Fokuszeit, Arbeit am Backlog und konzentrierte Vorbereitungstermine.
Am Ende bleibt: Vertrauen
Was er den Leserinnen und Lesern mitgeben möchte?„Offen bleiben. Experimentieren. Und reden. Wirklich reden.“
Vielleicht ist das die einfachste und klügste Definition von Agilität überhaupt.
Und vielleicht ist Thomas gerade deshalb der beste Beweis dafür, dass moderne Arbeit nichts mit Modewörtern zu tun hat – sondern mit Haltung.
Und ja: um 13 Uhr klingelt wieder der Paketbote.
Agilität, ganz konkret.
Das Interview führte Josefine Walter, Agile Coach und Scrum Master bei convivo.